Skilltree Saga

Als DSA-Spieler hat man es schon nicht leicht: Hunderte von Abenteuern warten darauf gespielt zu werden, hunderte von Erzschurken wollen besiegt, hunderte holde Jungfrauen befreit werden. Und doch sind viele DSA-Spieler heute nicht mehr die gelangweilten Schüler von früher, die unzählige Stunden in ihr Hobby stecken konnten. Da ist man froh, wenn man ein oder zweimal im Monat einem Rollenspielnachmittag frönen kann. Aber wie kann man die lange Wartezeit bis zur nächsten Realitätsflucht nach Aventurien sinnvoll überbrücken? Vielleicht mit einem kleinen Handyspiel?

Wer im Laden oder im Google Play Store über die Skilltree Saga stolpert, wird vermutlich erstmal bei dem seltsamen Namen stutzen. Skilltree? Wirklich? In unserer ach-so-deutschen DSA-Welt? Wäre nicht "Fertigkeitsbaum-Saga" viel passender? Gut, hat vielleicht nicht den selben Klang, und für die internationale Vermarktung ist es sicherlich auch nicht passend. Also schluckt man jeden bissigen Kommentar über den Titel erstmal runter und schaut sich das eigentliche Spiel an.

Das Titelbild verströmt schöne Reichsforst-Romantik. Aber wer sind die beiden Gestalten da?

Vorsicht: Dampf!

Ein "Casual-RPG mit Roguelike-Elementen in Aventurien"? Das klingt doch eigentlich erstmal gar nicht schlecht. Ein kleines Nebenbei-Spielchen mit Zufallselementen und vielen Nahtod-Erlebnissen im DSA-Kosmos? Sowas habe ich schon lange gesucht! Na gut, die Kritiken scheinen nicht sonderlich berauschend zu sein. Aber was soll's: Für ein paar Euro kann man es ja mal wagen!

Also habe ich direkt den ersten Fehler gemacht: Das Spiel gebraucht im Internet gekauft. Da die PC-Version aber über Steam betrieben (und kopiergeschützt wird), musste ein Steam-Key eingegeben werden - der natürlich vom Vorbesitzer bereits verwendet und nicht wieder freigegeben wurde. Na gut, dafür hat das Spiel auch nur zwei Euro gekostet. Dann probieren wir es eben mit der Handy-Version.

Die Ausgangslage

Drei Euro und 157 Megabytes später war also die Android-Version installiert und begrüßte mit sanfter Musik und einem heimeligen Startbildschirm. Schnell war ein neuer menschlicher Spieler-Charakter gewählt und mitten in die "mitreissende" Handlung geworfen.

Drei Spezies stehen zur Auswahl
Mal wieder musste das arme orkgebeutelte Greifenfurt dran glauben. Diesmal wurde die Tochter des Barons Tilldan Greifentreu, die auf den schillernden und in Aventurien eher unüblichen Namen Emily hört, von einem mysteriösen schwarzen Ritter entführt. Alle Bürger der Stadt sind höchst verzweifelt, doch ein einzelner Held ist bereit, die Verfolgung aufzunehmen, um Emily zurückzuholen.

Die Hintergrundgeschichte ist schnell erzählt
Leider scheint unser Held mehr guten Willen als Können vorweisen zu können, denn vom ersten Goblin, der ihm im Reichsforst begegnet, wird er erstmal ordentlich vermöbelt. Ja, richtig gelesen: Besiegt von einem Goblin!

Glücklicherweise scheint besagter Goblin nett genug zu sein, um unseren Helden nicht direkt in mundgerechte Häppchen zu zerhäckseln. Auch kriegen wir schon bald Hilfe von einem netten Lehrmeister, der uns mit einem Göttertrank zurück unter die Lebenden holt, unter seine Fittiche nimmt und zu einem echten Elementarritter ausbilden will.

Der aventurische Obi-Wan Kenobi-Verschnitt hilft uns

Das Spiel beginnt

Und so beginnen wir unsere Ausbildung, bei der wir uns munter durch 30 Einsteiger-Level schnetzeln dürfen. Mit jedem Kampf erhalten wir Erfahrungspunkte und Gold oder Ausrüstungsgegenstände, mit denen wir unseren Helden verbessern können.

Selbst Giftspinnen und Riesenpilze haben netterweise stets einen Geldbeutel dabei
Hat ein Held genug Erfahrungspunkte gesammelt, steigt er automatisch eine Stufe auf und erhält 10 Abenteuerpunkte, die er dann verwenden kann, um im namensgebenden Skill-Tree (Verzeihung: Fertigkeitsbaum) neue Zauber und Fertigkeiten zu erlernen. Jede Fertigkeit kann in vier Stufen bis zur Perfektion gesteigert werden. Hat man eine Fertigkeit perfektioniert, kann die im Baum darüberliegende Fertigkeit freigeschaltet werden. So wird unser Held im Laufe der unzähligen Kämpfe immer mächtiger, und sollte hoffentlich irgendwann stark genug sein, den Endgegner zu besiegen und Emily zu befreien.

Der Fertigkeitsbaum wächst mit den erlangten Abenteuerpunkten
Die Kämpfe laufen vollkommen automatisch ab und können nach Beginn nicht mehr unterbrochen werden. Vor jedem Kampf sollte man also tunlichst überlegen, welche Aktionen man durchführen möchte. Jede Kampfrunde besteht aus sechs Aktionen. Jedes Aktionsfeld kann entweder mit einer Fertigkeit belegt oder leergelassen werden, was dann zu einer einfachen Nahkampfattacke führt. Sollte der Gegner (oder der Held) nach sechs Aktionen noch nicht besiegt sein (was erstaunlich selten vorkommt), wird der Kampf unterbrochen und es können sechs neue Aktionen gewählt werden.

In der Zoo-Botanica Aventurica habe ich dieses Vieh noch nie gesehen!
Um es dem Spieler trotz fehlender Interventionsmöglichkeit während der Kämpfe nicht zu schwer zu machen, führen alle Gegnertypen stets die selben Attacken in der selben Runde durch. Somit weiß man nach einiger Zeit auswendig, dass der Goblinspäher zu Beginn schnell angreift, die Spinne sich erstmal von der Decke baumeln lässt und sich der betrunkene Goblin in der ersten Runde Mut antrinkt. Mit diesem Vorwissen und etwas Übung lassen sich die meisten Gegner durch geschickte Wahl der Fertigkeiten meist in wenigen Aktionen besiegen.

Essentiell zum Gewinnen der Kämpfe ist eine adäquate Ausrüstung. Nach jedem Kampf bleiben potentiell einige mehr oder weniger nützliche Rüstungsteile liegen, mit denen unser Held seine sieben Attribute Körperkraft, Klugheit, Mut, Konstitution, Rüstung, Resistenz und Waffenschaden verbessern kann. Je höher unser Held aufgelevelt ist, desto bessere Gegenstände werden gefunden. In Greifenfurt, oder bei sporadisch auftretenden Händlern, lassen sich neue Gegenstände und Tränke erwerben. Letztere dienen zum Aufbessern der Lebensenergie und der Astralenergie.

Jeder Gegenstand steigert zwei bis drei Eigenschaften
Nach 30 erfolgreichen Kämpfen im Reichsforst müssen wir uns unserem Lehrmeister im Kampf stellen. Haben wir ihn besiegt, schickt er uns allein auf den Weg, die beiden anderen Orte auf der Landkarte zu erkunden. Die Kristallhöhle ist erst für Spieler ab Stufe 7 verfügbar und bietet 50 Ebenen, der final Dunkle Turm schließlich erfordert Stufe 20 und bietet satte 100 zu besiegende Gegner. Das fiese an der Sache: Sobald unser Held auch nur einen der Kämpfe verliert, ist Ende im Gelände, und er findet sich wundersam geheilt im sicheren Greifenfurt wieder, wo er den nächsten Versuch planen kann.

Es gibt nur vier Orte - dabei wäre auf der Karte noch mehr Platz
Hat unser namenloser Held sich schließlich zur 100. Ebene des Dunklen Turms durchgekämpft, steht er dem mysteriösen Endgegner gegenüber, der hier netterweise wochenlang mit der entführten Emily ausgeharrt hat, um sich dem frisch gebackenen Elementarritter zu stellen und, hoffentlich, die Fresse polieren zu lassen.

Bis dahin hat sich der Spieler aber schon ein paar Dutzend Stunden durch die Landschaft gekämpft, hat gewissenhaft Erfahrung und Ausrüstung gesammelt, hat minutiös alle Gegnerattacken auswendig gelernt. Wer sich gut vorbereitet an den Endgegner wagt, sollte eigentlich auch keine allzu großen Probleme haben, da er zwar mit viel Lebensenergie, aber insgesamt mit erstaunlich wenig gefährlichen Fertigkeiten ausgestattet ist.

Der lang erwartete und dann doch sehr enttäuschende Endgegner
Sobald unser Held (und sein erleichterter Spieler) dann die wie erwartet überflüssige Endsequenz überstanden hat, wird er auf die letzten Tage (Wochen?) seines Lebens zurückblicken, und sich fragen, ob das den ganzen Aufwand wert war...

Und zum Dank dürfen wir Emily auch noch 100 Treppen runtertragen

Für Casual-Gamer?

Ein Urteil über Skilltree Saga zu fällen, fällt mir überraschend schwer. Zum einen war ich durch den schlechten Ruf des Spiels vorgewarnt und hatte eine sehr niedrig angesetzte Erwartungshaltung. Als sich dann das Gameplay als zwar stupide, aber dennoch recht spaßig herausstellte, musste ich meine Meinung leicht revidieren. Ja, ich gebe sogar zu, dass ich dem Ende des Spiels entgegengefiebert habe. Wer sich, wie ich, ein paar Dutzend Mal durch die ersten 60 Level des Dunklen Turms gekämpft hat, nur um etwas Erfahrung und ein paar Tausend Goldstücke zu erhalten, weiß, wie frustrierend der Weg bis zum Endgegner sein kann. Aber das Spiel ist nicht ungeschickt ausbalanciert: Man erhält stets genug Belohnung, um sich dem Ziel etwas mehr zu nähern, und ist so motiviert, es nach dem n-ten Versuch gleich noch ein (n+1)-stes Mal zu probieren. Ich weiß nicht, welche Urinstinkte beim Grinden angesprochen werden, aber anscheinend hat mein Belohnungszentrum während des Spiels viel zu tun gehabt.

Technisch geht das Spiel für ein Handy-Spiel dieser Preiskategorie in Ordnung. Grafisch durchwachsen, ordentlicher aber schnell nerviger Sound. Die Steuerung kann auf kleinen Handys schnell frickelig werden, manche Menübedienung ist etwas undurchdacht und nervig (so kann man nicht direkt vom Inventar zurück zum Händler wechseln). Beim Trinken von Tränken springt das Inventar gerne mal ein paar Stellen zu weit nach links, und auch der ein oder andere Absturz während eines Kampfes kann vorkommen. Da das Spiel aber nach jedem Kampf abspeichert, geht nie viel Fortschritt verloren.

Für Aventurien-Kenner?

Natürlich darf nicht verschwiegen werden, dass Skilltree Saga aus Sicht eines DSA-Spielers ein Totalausfall ist. Das Spiel hat mit dem Kampfsystem und dem aventurischen Hintergrund in etwa so viel zu tun wie Tetris oder die Candy Crush Saga. Sicher, einige verwendete Stichworte (Körperkraft, Goblin, Greifenfurt, Tilldan Greifentreu) lassen sich auch im Regelwerk wiederfinden, andere wie "Elementarmeister" oder "Göttertränke", die unsäglichen Gegnertypen (Windschamanen, Felslinge, Waldblobs, Naturgeister) und die schrecklichen Endgegner (Sir Ratzel oder Morkash Seelenfresser) werden wir dort hoffentlich niemals finden.

Ja, wer hat noch nicht vom großen Sir Ratzel mit seinem Schwein und Besen gehört?
Dabei wäre es eigentlich gar nicht notwendig gewesen, so weit vom Kanon abzuweichen. Muss es wirklich ein Dunkler Ritter ohne Motivation sein, der die holde Tochter Emily entführt? Hat Aventurien nicht genügend interessantere NPCs und Plots zur Auswahl, um sich daraus zu bedienen? Warum muss die Spinne "Spinne" und der Waldblob "Waldblob" heißen, wenn man sie stattdessen auch "Maraskantarantel" oder "Riesenamöbe" hätte nennen können? Hätte das "Elementargeschoss" nicht ein "Fulminictus", und das "Wasserwesen" ein "Duplicatus" sein können? Warum muss man noch den Elementarritter erfinden, wenn es schon so viele schöne magische Professionen in DSA gibt?

Die Riesenamöbe, die ab jetzt nur noch Waldblob genannt werden möchte
War den Programmierern und Spieldesignern nicht klar, dass sie es sich dadurch mit allen eingefleischten DSA-Spielern unnötig verscherzen? Sicher, das Spielprinzip an sich passt mit seinem rasanten Steigerungsverlauf nicht zum DSA-Regelsystem, aber wenn man es genau betrachtet, wichen auch die Regeln der Tabletops Armalion und Schicksalpfade naturgemäß vom klassischen Regelsystem hat, was dem Aventurien-Gefühl aber nicht groß geschadet hat. Warum konnte man es hier nicht auch so halten?

Fazit

Insgesamt bleibt von der vollmundigen Aussage "ein Casual-RPG mit Roguelike-Elementen in Aventurien" nicht mehr als das Wort "Casual" übrig. Für ein Rollenspiel fehlen die eigenen Wahlmöglichkeiten beim Steigern des Helden (die Eigenschaften lassen sich nur mit den zufällig gefundenen Ausrüstungsgegenständen verbessern). Das zufällige Auswählen aus einer Handvoll Gegnertypen je Location macht aus dem Spiel noch lange kein Roguelike. Und mit Aventurien hat das Spiel bis auf das DSA-Logo und die Umgebungskarte von Greifenfurt nun wirklich nichts zu tun.

Der verbliebene Teil, das "Casual"-Spiel, macht aber das, was es soll: Es unterhält den gelangweilten Handyspieler für ein paar Euro ein paar Stunden lang. Und das gar nicht so schlecht. Aber für eine Kaufempfehlung reicht das noch lange nicht.

Skilltree Saga ist für Android, für iPhone und als PC-Spiel verfügbar.

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