Rezension: Mond über Phexcaer

Die erste DSA-Kurzgeschichten-Anthologie zu rezensieren, ist eine Aufgabe für echte Helden: Es müssen Kneipenschlägereien gewonnen, tulamidische Paläste geplündert, historisch fragwürdige Magiertürme in abgelegenen Diebesstädten erklommen und dreiköpfige Drachen totgequatscht werden. Und man muss die verschiedenen Schreibstile der sich gerade erst findenden DSA-Autoren ertragen können. Ob und wie gut das den vier Helden (und dem Schelm) gelungen ist, wollen wir Euch hier berichten.

Die Anthologie

Die neunziger Jahre haben begonnen. Die Berliner Mauer ist gefallen, die deutsche Einheit gerade besiegelt, und auch in Aventurien findet endlich zusammen, was zusammengehört: Vier Geschichten aus den verschiedensten aventurischen Regionen, vereint in einem ersten Kurzgeschichten-Sammelband unter der Ägide von Großmeister Ulrich Kiesow. Da kann ja eigentlich nicht viel schiefgehen.

Historisch betrachtet liegt die Veröffentlichung des Bandes kurz nach dem Ende der Südmeer-Tetralogie und vor dem Beginn der Phileasson-Kampagne. Die 1000 Oger haben schon Ysilia geplättet und somit den Auftakt zu dem geliefert, was wir heute als Metaplot oder Lebendige Geschichte kennen. Mehr als drei Dutzend Abenteuer sind zu diesem Zeitpunkt bereits erschienen, und haben unzählige Heldengruppen u.a. durch's Mittelreich, Orkland, Bornland, ins liebliche Feld, nach Meridiana oder Al'Anfa geführt. Man kann also ruhigen Gewissens sagen, dass Aventurien zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr das unbeschriebene Blatt ist, das es zu Zeiten von Das eherne Schwert noch war, und somit schon eine gewisse Werktreue zum aventurischen Kanon erwartet werden kann.

Ob das notgeile Titelbild gut in unser heutiges Weltbild von Aventurien passt, darf stark bezweifelt werden. Der Tango-tanzende Echsenmensch, der die lasziv dahinschmelzende Schönheit lüstern begafft und dabei von einer mindestens ebenso skurrilen Elfen-Familien-Kapelle begleitet wird, wurde von der Amerikanerin Victoria Poyser-Lisi kreiert (die auch die Cover für die "Kleinodien" und für "Zauberharfen und Runenschwerter" beisteuerte) und wohl nur aus optischen Gründen eingekauft, ohne einen echten DSA-Bezug zu haben. Bis auf den titelgebenden Mond und die in frühen DSA-Publikationen unvermeidbare nackte Haut taucht keines der (zugegebenermaßen schön gemalten) Bildelemente in den Geschichte des Buches auf.

Aber genug der Oberflächlichkeiten! Stürzen wir uns in den Buchinhalt!
Warum tanzen der Achaz und die fast textilfreie Frau? Ach, egal...

Die Diebe von Rashdul

In den Gassen Rashduls nennt man sie die Königin der Diebe. Sie ist ein Phantom, das noch niemand fassen konnte, und ihr Glück und Geschick sind legendär. Um ihrer endlich habhaft zu werden, wollen die Shanja von Rashdul und Ilnamar ay Storn, der Kommandeur der Stadtwache, ihr eine Falle stellen. Auf dem Fest eines reichen Händlers soll sie versteckten Männern der Stadtwache in die Hände fallen. Tatsächlich gelingt es der Diebin Djamilla Azila, unauffällig in das Haus zu kommen und die schlafenden Gäste zu bestehlen - bis der Söldner Amehn sie erwischt und für seine Zwecke ausnutzen will...

Die Geschichte der jungen Diebin stammt aus der Feder von Christel Scheja, die später mit Katzenspuren und Das magische Erbe zwei DSA-Romane und noch einige Kurzgeschichten in Aventurien ansiedelte. Vor der Kulisse der mhanadischen Metropole beschreibt sie einen relativ geradlinigen Einbruch, der kaum mit originellen Einfällen glänzen kann. Die Charakterdarstellungen sind solide, auch wenn man sich das ein oder andere Mal fragt, warum die Königin der Diebe sich nicht etwas schlauer oder geschickter anstellt. Rashdul selbst bleibt erstaunlich blutleer und könnte relativ problemlos durch jede andere aventurische Metropole ersetzt werden. Überhaupt könnte der Großteil der Ereignisse so oder änhlich in so ziemlich jeder anderen Fantasy-Welt spielen - was ich ihr durch die fehlenden Widersprüche zum DSA-Kanon aber gerade noch verzeihen kann.

Insgesamt also eine recht vorhersehbare und fast banale Geschichte, die mit ihren 42 Seiten aber glücklicherweise nicht unnötig aufgebläht wirkt und durchaus angenehm lesbar ist. Insbesondere das Spannungspotential zwischen der jungen Diebin und ihren Widersachern, der Shanja und dem Kommandeur, ist stimmig, und so bin ich gespannt, wie ihre Geschichte in Katzenspuren weitergesponnen wird.

Einen Drachen zu fangen

Sehr viel aventurischer, aber auch skuriler wird es dann in der Landgrafschaft Trollzacken, wo Graf Golambes von Gareth-Streitzig mit dem Greifen auf höchst amüsante Art und Weise über Götter und die Welt, insbesondere aber über die aventurische Prominenz lästert. Um eine Riesenlindwürmin aus seinem Land zu vertreiben, macht sich der unbeirrbare Halbelf höchstpersönlich auf, um zusammen mit Troll-Baron Strutzz und einigen wackeren Kämpfern das Untier zu vertreiben.

Was der leider viel zu früh verstorbene Jörg Raddatz in die ersten sehr schnell verfliegenden Seiten packt, liest sich wie das Who-is-Who des aventurischen Hochadels ca. 1006 BF. Der Greif, Dexter Nemrod, Halme (das ist kein Tippfehler!) Haffax, Hal, Brin, Alara - sie alle werden im Schnelldurchlauf auf sehr sympathische Art runtergerattert (und wenn man bedenkt, wie viele davon heute noch leben, wird man sehr wehmütig). Die Konversation zwischen Graf, Greif und Troll sprüht von Wortwitz und Freude an der reichen aventurischen Hintergrundgeschichte, und ist auch für heutige Spieler noch sehr lesenswert.

Leider kann und will Raddatz dieses Tempo nicht durch die ganze Geschichte halten, und so wird insbesondere die Anreise zur Drachenhöhle etwas langatmiger - aber keinesfalls anstrengend! Der unkonventionelle Graf hat sofort alle Sympathien der Leserschaft auf seiner Seite, und so nimmt man es ihm fast gar nicht übel, dass er aus purer Selbstüberschätzung alleine einem Riesenlindwurm entgegentritt. Dass das verbale Duell zwischen beiden durchaus einem ersten Entwurf zu Der Hobbit entstammen könnte, nimmt man dann schon amüsiert in Kauf, macht Raddatz doch keinen Hehl daraus, dass dies eine klassische Pulp-Fantasy-Geschichte ist, die pedantischen Simulations-Regelfaschisten vermutlich Bauchkrämpfe bereiten wird. Alle anderen werden aber sehr viel Spaß mit Golambes und seinem Drachen haben.

Der Mond über Phexcaer

Ins wilde Orkland verschlägt es uns in der dritten und längsten Geschichte der Anthologie, die von Pamela Rumpel verfasst wurde. Eine junge Kriegerin namens Allhina macht sich auf den langen und beschwerlichen Weg nach Phexcaer, um ihren Geliebten Sanshied aus dem Bann des mächtigen Schwarzmagiers Xaraxus zu befreien. Dieser haust standesgemäß in einem dunklen Turm am Rande der Stadt und paktiert mit dem finsteren Moilon. Glücklicherweise findet Allhina schon bald Gefährten in Form eines namenlosen (nein, nicht der Dreizehnte ist gemeint) einäugigen Gauklers, des tulamidischen Händlers Haimamud und des Bordellbesitzers und Jägers Kaji. Die Hilfe hat sie auch bitter nötig, denn vor der dramatischen Befreiung des Geliebten wollen liebestolle Pantherfrauen, mysteriöse Schlangenhexen, gesichtslose Schergen des Schwarzmagiers und schließlich der böse Moilon selbst überwunden werden.

Mit fast 100 Seiten wird die Geschichte Allhinas arg detailliert und mit zahllosen Zwischenhandlungen ausgewalzt, die man gut und gerne auch auf sehr viel weniger Seiten hätte unterbringen können. Gleichzeitig werden die aus aventurischer Sicht interessantesten Themen komplett ausgeblendet, denn weder erfährt man irgendwas über die gefahrvolle Reise durch das Orkland, noch von der ungewöhnlichen Stadt der Diebe Phexcaer. Mit keiner Silbe! Die Geschichte könnte in jeder beliebigen anderen aventurischen (oder nichtaventurischen!) Stadt spielen, und dass, obwohl Phexcaer zu diesem Zeitpunkt bereits in den Kleinodien und in der im Jahr zuvor erschienenen Orklandbox detailliert beschrieben worden war.

Auch sonst mutet Frau Rumpel dem Leser einiges zu: Die angebliche Kriegerin Allhina stolpert von einer Gefangennahme in die nächste, und wäre ohne ihre vollkommen unmotiviert selbstlos hilfsbereiten Gefährten vollkommen aufgeschmissen. Warum sich Allhina in der Stadt als Junge ausgeben soll, mag in einer Shakespeare-Komödie vielleicht noch erklärbar sein - in dieser Geschichte ist es aber absolut unsinnig und unnötig gefährlich.

Auch sonst findet die ganze Handlung keinen funktionierenden Spannungsbogen, mäaendert immer unmotiviert um das eigentlich recht konkrete Ziel der Gefangenenbefreiuung herum. Man hat das Gefühl, dass die Kapitel um die Sumpfhexe oder um die Pantherfrau nur geschrieben wurden, um den allzu linearen Charakter der Rahmenhandlung zu verstecken und etwas Zeit zu schinden, und um unmotivierte und unpassende Szenen mit Sex und viel nackter Haut einbauen zu können.
"Sehr wenige wissen davon, denn es ist etwas..., etwas wie die Erzdämonen und zugleich ihr Gegenspieler."
Höhepunkt der Unsinnigkeit sind aber der völlig an den Haaren herbeigezogene Moilon, der in Anbetracht des zu diesem Zeitpunkt bereits vollständig beschriebenen Erzdämonen-Pantheons und des Namenlosen Gottes eigentlich nicht mehr als mystischer Oberbösewicht erforderlich gewesen wäre, sowie die schmerzhafte alberne Szene, in der der namenlose Gaukler der mal wieder in Not geratenen Protagonistin zur Hilfe eilen will, und sich dabei radschlagend fortbewegt, weil er auf diese Weise schneller ist. Das ist hahnebüchen, peinlich und unnötig - und leider symptomatisch für diese Geschichte.
"Mit einem gewaltigen Aufschrei sprang der Einäugige in die Halle, steckte den Säbel in den Gürtel und kam radschlagend herab, viel schneller, als wenn er gelaufen wäre."
Glücklicherweise hat das wohl auch die DSA-Redaktion erkannt, sodass "Mond über Phexcaer" die einzige Kurzgeschichte in dieser Anthologie ist, die niemals wiederveröffentlich wurde, und auch nie Teil des DSA-Kanons wurde. Die Zwölfe seien gepriesen!

Der Göttergleiche

Irgendwo in den Eisenwald, in irgendeine Taverne, voll mit Fuhrleuten und müden Reisenden, führt uns schließlich Ulrich Kiesow in seiner Kurzgeschichte Der Göttergleiche. Das Essen ist deftig, die Menschen sind rauh, das Bier fließt reichlich, der ganze Schankraum trieft vor Atmosphäre. Zwei Mietlinge, Thimorn und Dajin, begleiten einen Zug von Fuhrleuten, die die baldige Ankunft an ihrem Ziel mit reichlich gutem Essen und Bier feiern. Als zwei fremde Reisende die Schankstube betreten, wird aus angeheiterten Späßen und bösen Neckereien plötzlich bitterer Ernst...

Anders als die anderen Autoren der Anthologie verzichtet Kiesow in seiner gerademal 18 Seiten starken Geschichte weitgehend auf eine ausgefeilte Handlung mit fein ausgearbeitetem Spannungsbogen, und konzentriert sich lieber auf die Charaktere und die Stimmung in einer typischen aventurischen Taverne. Das Verhalten der angetrunkenen Fuhrleute gegen Aussenseiter ist eine wunderbare Gesellschaftskritik, verpackt in vermeintlich seichten Fantasy-Kontext. Doch Kiesow steht auf der Seite der Underdogs, und lässt sie sich auf ihre ganz eigene Art und Weise wehren (mit einer klitzekleinen Prise von Stephen Kings Carrie). Das Ende der Geschichte ist möglicherweise der Beginn einer neuen, denn die in der Taverne durch das Schicksal zusammengeworfenen, beschließen von nun an gemeinsam in Abenteuer zu ziehen. Die klassische Kneipenszene als Abenteuereinstieg - von Kiesow wird sie hier zelebriert!

Zusammen mit einigen neuen und alten Kurzgeschichten war Der Göttergleiche auch in einer erweiterten Form in der gleichnamigen Anthologie aus der Heyne-Reihe enthalten. Gegenüber der Ursprungsfassung führte Kiesow einige Änderungen durch - so wurde aus dem thorwalschen Söldner Thimorn eine Thorwalerin namens Thornhild. Das Ende der Geschichte, das im Original noch sehr kurz und knapp ausfiel und viel Raum für Fantasie ließ, wurde in der zweiten Version deutlich erweitert und um eine tiefergehende Erklärung der Geschehnisse ergänzt. Beide Versionen haben ihre Vor- und Nachteile - ich persönlich bevorzuge die neuere Variante, da sie die Geschichte viel besser in den aventurischen Kontext rückt.

Das Fazit

Als ich damals, vor nunmehr 27 Jahren, die erste DSA-Kurzgeschichten-Sammlung im Buchladen fand, war ich glücklich und aufgeregt, hatte ich doch lange auf weitere Geschichten aus meinem geliebten Aventurien warten müssen. Leider wurde ich schon damals etwas enttäuscht, denn nicht alle vier Geschichte wissen durchweg zu überzeugen: Die Diebe von Rashdul ist eine geradlinige, wenig überraschende Diebes-Geschichte, die zwar einige vielversprechende Charaktere aufbietet, aber leider zu wenig mit ihnen anstellt. Einen Drachen zu fangen startet mit einem furiosen humoristischen Schaulaufen durch die aventurische Prominenz, und endet mit einem verbalen Drachenduell, das sich selbst nicht allzu ernst nehmen möchte. Der Göttergleiche kann mit schönen Charakteren und dichter Atmosphäre aufwarten, ist aber mit seiner nicht allzu gut verborgenen Gesellschaftskritik und seiner minimalen Handlung vielleicht nicht unbedingt das, was man von einem Fantasy-Roman erwarten würde. Mond über Phexcaer ist ganz klar der Tiefpunkt des Buches, und nervt mit unnötigen Nebenplots, einer blassen Protagonistin und einem vergessenswürdigen Entführung-durch-Schwarzmagier-Plot.

Kurz: Kiesow und Raddatz (beide leider viel zu früh verstorben) hatten es drauf, Scheja und Rumpel trafen mit ihren aventurischen Erstlingswerken leider nicht ganz meinen Geschmack. Ob ich es bereut habe, die Geschichten nach 27 Jahren noch einmal gelesen zu haben? Nein, keinesfalls. Alle vier Geschichten kann man sich - das nötige historische Interesse vorausgesetzt - durchaus mal geben. Wer aber nicht unbedingt das Echsenmensch-Cover im Schrank stehen haben muss und auf Moilon-Geschichten verzichten kann, ist mit der 5 Jahre später erschienenen Neuauflage Der Göttergleiche sehr viel besser bedient.

Das Buch "Mond über Phexcaer" ist 1990 bei Fantasy Productions erschienen und nur noch antiquarisch verfügbar (z.B. bei Amazon). Drei der vier Geschichten sind in der Anthologie "Der Göttergleiche" enthalten, die als E-Book bei Ulisses erhältlich ist. Die Kurzgeschichte "Der Göttergleiche" ist auch als Hörbuch verfügbar, und in der Ulrich Kiesow Gesamtausgabe enthalten.

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